Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck
Die Brüche der Horizontlinie wahren das Gedächtnis vom Meer
das sich Jahrmillionen vor uns in die Tiefen zurückzog.
So erstarrt auch das Licht der Heimat im Netz der Falten,
den Furchen um den Mund, den Gesichtsporen und verrät der Fremde
dein Nicht-von-hier-Sein, deine Nicht-Zugehörigkeit zum Fluss
dieser Straßen, Kirchen, die nicht im Fluss sind, der Türme, Erker,
versteinerten Heiligen, Kolonnaden, Balustraden und Stuckaturen.
Die Grafik deiner Züge gibt den Vogel preis, dem der Süden
die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies nicht nahm. Später
erkennt ein wachsames Auge in deinen Taten, Gesten, Ausbrüchen,
deiner Mimik zumindest irgendwo den deutlichen Einfluss
der Prager Architektur, Wiener Türme, Maulbronner Galerien.
Aus dem Zyklus „Lieblingsgötter und -helden“
Pan
Die Stimme des Steuermanns verkündete uns Deinen Tod, Gott des Urwalds.
Der kurze Frühling glitt in einen heißen Sommer über,
die Zyklamen auf den arkadischen Wiesen verblühten und mit dem Wind
verflüchtigte sich ihr Geruch. Hässlich und alt, miedest
du Gescheiterter Dionysos‘ Nähe nicht, verwandeltest
deine unglückliche Liebe in Musik,
nun liegst du im Schatten einer Platane, stumm,
ohne Atem, die Flöte entglitt deiner dürren Hand.
Kein Wind, Pan, vermag den Schrei der Mänaden
an Dein Ohr zu tragen, Du bedachtest alles, wogst ab
und schiedest dahin, denn Deine gebrochene Silhouette fügte sich
in keine der arkadischen Landschaften mehr.
Fahrt im Heißluftballon
Im Morgengrau über der Stadt mit Myrtesträuchern in alten Höfen,
mit Spuren adeliger Freiheit, verewigt in Häusern,
erblühte ein Ballon in der Luft, wie zur Dämmerung uralte Angst
in den Venen erblüht; du dachtest: Wie diese dreiste Freiheit
berauscht. Scheu und schlank
wolltest du stets lieber gehen als fliegen,
seit du denken kannst, erschreckt dich die Höhe.
Und dann bist du geflogen.
Die Stadt blieb zurück, unter dir zogen Felder vorbei,
du spürtest die Kraft der Gravitation,
das Abkühlen des heißen Gases hoch über dir,
und hegtest Verdacht, der Korb hätte ja keinen Boden,
und dich umschloss ein eisiger Mantel
der Ruhe oder der Lethargie.
Die Felder wichen den Bergen – felsig, fremd, unbekannt;
und du stehst in der Luft, beinahe am Horizont …
Um nicht am Fels zu zerschellen, wirfst du das Letzte ab
aus dem imaginären Korb, nur nicht den fast ohnmächtigen Körper:
die Last deiner glücklichen, deiner einzigen Liebe.
Los, steig auf – das ist es doch, was du wolltest.
Doch der Flug ist vorbei, du siehst: Der Ballon ist weg,
du stehst allein in der Luft, weißt aber, allein bist du nicht,
du spürst, der Allgegenwärtige bremst mit unmerklicher Geste
die Gravitation, damit die Erde nicht allzu jäh ruft,
und sie bis zum Ende der Zeit, nur Ihm untertan,
für dich Haus und nicht Grab sei.
***
Der Sommer war kalt, sie trug Halbschuhe,
geschnürt, ohne Absatz.
Im Osten ihres Landes wütete der Krieg, die Getöteten
entpuppten sich oft als Freunde von Freunden oder Bekannten.
Der Sommer war kalt. Die Frau zog einen Sohn groß.
Sie liebte es, von ihrem Fenster auf die Türme der Stadt zu schauen.
Die Art zu leben heilte alle Wunden und jede Schuld,
das Leben gewann an Wert. Sie wird vierundvierzig.
In diesem Alter hat man gelernt Unvollkommenheit zu lieben,
zieht dem Aufbegehren häufiger Unterordnung vor,
und trinkt kaltes Quellwasser nicht nach Wein,
dafür mit bisher unbekanntem Genuss. (Ein Tropfen im Meer
erlangt Kostbarkeit, wenn die Meere versiegen,
die Wellen einst vorhandene Ufer nicht mehr erreichen,
Segelschiffe verschwinden und Korallenberge sich erheben …)
Und den Sommer – auch wenn so kalt – nimmst du als Geschenk der Geschenke.
***
Ich sah den Paradiesfluss. In den smaragdenen Wassern
badete Adam, er hatte Eva davon überzeugt,
die Schlange zu meiden, nicht von den Früchten zu kosten,
auf den Vater zu hören und einen gewissen Baum schlicht zu vergessen.
Ihr Garten war erfüllt von Freude, frei von Traurigkeit
war ihre Freude. Unter dem Himmelszelt,
mit den Augen Ewigkeit schöpfend gebaren sie ihre Kinder,
wandelte sich alles Gesäte und Geschaffene zu Glück.
Ich folgte dem Paradiesufer, erfüllt von der Ruhe des Wortes,
im Garten der Schrift blätterte ich glücklich im Buch des Lebens.
Adam berührte meine Hand. Ich wollte den Ursprung ergründen,
und mit der Stimme des Vaters sprach Adams Mund zu mir: „Eva,
was immer außerhalb des Tores passiert,
bewahre das Gleichgewicht, atme langsam und tief.
Soll der Engel der Zwiespalt mit leeren Händen vorüberfliegen,
ohne Herz, Ohr oder Auge von dir erbeutet zu haben …“
Aus dem Zyklus Glaube, Hoffnung, Liebe
Wira – Glaube
Dünn
wie ein Windhund
ulkig
in ihrer Extravaganz
und andersherum
Manche schätzen sie
wie
der Wahrheit
uneheliche Tochter
Manche hassen sie
wie
des Betrugs Geliebte
Für immer
zähmt niemand sie
schließt keiner die Ehe mit ihr
Sie liebt beides
Tatsache
und Betrug
Verlässt dich
jäh
(selbst wenn nichts
Unheil kündete)
Lauf ihr nach
wenn du willst
Komm ohne sie
klar
wenn du willst.
Nadija – Hoffnung
So einzigartig,
keiner der Schwestern
ähnelnd,
ist es unmöglich sie zu beschreiben
ohne Namen
zu nennen.
Die Augen?
Oft geschlossen,
oder sie blinzelt,
denn das Licht
stört
ihren Blick
meist allzu sehr.
Der Mund?
Kindlich, verträumt.
Gespräche
nur über Zukünftiges,
kein Wort über das,
was war.
Die Worte ängstlich
und leise.
Instabil,
labil.
Vielleicht weil
sie weiß:
man hätschelt
und hegt sie
fürchtet sie zu verlieren
nicht
ihretwillen …
Lubow – Liebe
ist brüchige Realität,
eine zarte Silhouette
am Rande des Abgrunds.
Unsicherheit
heißt das einzige Prinzip,
auf das
sie
blind baut.
Der größte Luxus
ist zu hoffen,
dass die Liebe
nicht eher
endet
als
das Leben.