
Julia Cimafiejeva, geboren 1982 in Belarus. Sie ist Autorin von vier Gedichtbänden auf Belarussisch. Ihr Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und im Rahmen verschiedener Projekte und Magazine rezensiert. Sie lebt im Exil.

Trotz russischsprachiger Erziehung schreibt Julia Cimafiejeva ihre Lyrik auf Belarussisch, was ein bewusster Entscheid sei, eine Sprache, mit der sie sich positioniere, schreibt sie im Nachwort ihrer Gedichtsammlung «Der Angststein». Die Dichterin und Übersetzerin gehört zu den Gründerinnen des Online-Literaturmagazins prajdzisvet.org und veröffentlichte 2020 ihr Tagebuch «Dagar i Belarus» (Tage in Belarus), worin sie die Proteste gegen Lukaschenko protokolliert. Seit 2020 lebte sie mit Alhierd Bacharevič als Writer in Exile in Graz und aktuell in der Schweiz.
Der Angststein
Ich habe Angst.
Ich bin daheim.
Als Erbstück erhielt ich
meine Angst –
eine Familienreliquie,
ein wertvoller Stein,
weitergegeben
von Generation zu Generation.
Unser Feldstein ist schlicht und rund,
gestohlen einst
von des Gutsherren Land.
Der Stein hat keinen Mund,
er kann weder schreien
noch sprechen.
Der Stein hat kein Gedächtnis,
bleibt ewig Fötus,
der lediglich langsam
und unerbittlich
wächst.
Einer nach dem anderen nähren wir den Stein
durch die lange Nabelschnur der Ahnen:
Urgroßmütter und Urgroßväter,
Großväter und Großmütter,
Mutter und Vater,
und schliesslich ich –
nun ist es an mir.
Reading and talk
Podium